Hoffnung und Angst in Zeiten von
Corona
Ich schreibe Euch dies von meinem
Haus in Kapstadt, Suedafrika. Ab heute, 26 Maerz Mitternacht sind wir landesweit in “lockdown”,
d.h. niemand darf sein Haus verlassen. Es it gleich Mittag. Noch 12 Stunden. Alle
Fenster sind offen, es weht ein milder Wind, der ein bischen nach dem gestrigen
Regen auf trockenem Gras riecht. Ich hoere Voegel zwitschern, das Lachen meiner
Kinder, die sich kreischend durch den Garten jagen und Berta, die ein Motorrad anbellt, das an unserem
Tor vorbeifaehrt. Die Sonne blinkt ab und zu zwischen fetten Schaefchenwolken
hindurch, der Tafelberg hat ein fransiges Tischtuch, es ist alles vermeintlich normal
und friedlich. Bis auf die Schlangen vor den Supermaerkten, die sich um mehrere
Strassenecken winden, weisse Menschen
mit Tuechern und Masken vor dem Gesicht, beladen mit Tueten und Kartons und den
unvermeintlichen 12er Packungen Klopapier, die zu ihren Autos trecken und
zwischendurch vereinzelt dunkelhaeutige Menschen mit Spray-Flaschen und
Handschuhen, die den Panik-shoppern behilflich sind, bevor sie wieder in einem
ueberfuelltes Minibus Taxi oder den unverlaesslichen aber ebenfalls
ueberfuellten Zuegen zurueck in die Townships reisen. Dort, wo ein Grossteil der Schwarzen Bevoelkerung in menschenunwuerdigen
Zustaenden lebt, ist ein “Lockdown” fuer viele aeltere Menschen ein Trigger. Die
Townships wurden unter der Apartheid Regierung eingerichtet, damit man die
“Schwarze Gefahr” aus den affluenten weissen Suburbs heraushalten konnte. Auch
damals durften nur diejenigen mit einer speziellen Genehmigung (Dompass) tagsueber in den weissen Suburbs
unterwegs sein, um Haeuser zu putzen, Gaerten zu pflegen und Kinder zu
betreuen. Auch damals wurde die Armee dazu benutzt, die Menschen in Schach halten
und einzuschuechtern.
Als der Praesident vor drei Tagen ankuendigte,
dass die Armee zur Einhaltung des Lockdowns eingesetzt werden wuerde, bestand
kein Zweifel fuer welche Wohngebiete dies zutrifft.
Waehrend wir Weissen uns auf
Neighbourhood WhatsApp Foren darueber echauffieren, dass Prince und Waldi nicht
Gassi gehen duerfen, und welches A-Loch den gesamten Lagerbestand an Balsamic
Vinegar und Gluten freien Broetchen aufgekauft hat, haben die Menschen in den
Townships einfach nur Angst.
Fuer die meisten steht lediglich
ein Monatsgehalt zwischen Ueberleben und Verhungern. Wer einen Job hat,ist in
der Regel fuer das Ueberleben einer weitlaeufigen Grossfamilie verantwortlich.
Kellner, Koeche, Hotelpersonal, Uber-Fahrer, Hausangestellte, Gaertner, Strassenverkaeufer,
Fabrikarbeiter, Minen-Arbeiter, die Liste derjenigen, die Ihre Jobs verlieren,
oder gerade ohne Gehalt fuer unbestimmte Zeit nach Hause geschickt werden ist
lang. Schul Mahlzeiten sind fuer viele Kinder das einzige Essen, dass sie an
diesem Tag bekommen werden. Wenn unsere Schulen online gehen, ist das fuer diese Kinder eine Katastrophe.
In den letzten zwei Wochen haben
wir alle mit angehaltenem Atem zugeguckt wie die Kurve steiler wurde und landesweite
Panik einsetzte. Ich selbst habe Momente von unkontrollierter Angst, dann
wieder Hoffnung und Zuversicht, dann wieder schreie ich meine Kinder an, und
fuehle mich wie die schlechteste Mutter der Welt, weil ich es nicht fertig
bringe mit Ihnen Kunst aus Klopapierrollen zu basteln oder einen Hindernislauf
im Haus zu organisieren. Statt dessen liege ich stundenlang auf meinem Bett,
die Nerven zerfranst wie die Wolken auf dem Tafelberg und lese Corona News mit
panic-snacks und Vitamin C.
Panik wechselt sich ab mit Schuld
und Dankbarkeit ueber unser paradiesisches Leben hier am Fusse des Tafelbergs
in einem Haus das gross genug ist uns acht Menschen genug Platz zum Atmen und
isolieren und gemeinsamen Mahlzeiten zu erlauben. Wir haben einen
Lieferservice, der uns alles bringt, was wir in normalen Zeiten selbst kaufen.
Wir haben Netflix und Handys und Tablets und wir haben uns.
Wir haben uns.
Wenn die Trauer um alles, was wir
gerade verlieren und die Unsicherheit ueber das, was auf uns zu kommt zu gross
wird, wenn meine Schuld ueber mein priviligiertes Leben mich geradezu laehmt,
wenn ich es nicht wage, meine Schwarzen Freunde zurufen, weil ich diese
Gefuehle im Angesicht Ihrer Angst um die Familien in den Townships geradezu
obszoen finde, dann hilft mir nur eins.
Liebevolle Geduld. Zunaechst einmal
Geduld mit mir und all meinen sinn-losen und realen und irrealen Aengsten und
Gefuehlen. Wir alle, Schwarz oder weiss, arm oder reich fuehlen Angst und
Unsicherheit und Hoffnung und Trauer waehrend wir versuchen Sinn zu finden und
zu ueber-leben.
Nur wenn ich mich selbst annehmen
kann mit all meinen widerspruechlichen Emotionen, in meinem schoenen Haus in
Kapstadt, nur wenn ich ganz tief
verstehe, dass ich liebens-wert bin in all meiner Imperfektion, dass ich gluecklich
sein darf auch wenn andere leiden, dass ich leiden darf, auch wenn das Leiden
anderer so viel grosser scheint als mein eigenes, kann ich mich aus der Spirale
von Schuld und Angst befreien und zu unserem kollektiven Heilen beitragen.
Meine Schuldgefuehle helfen
keinem.
Aber ich kann jetzt, heute etwas
tun, dass anderen hilft trotz meiner
Angst und Unsicherheit – und das hat den Knock-on-Effect, dass ich mich ablenke
von meinem eigenen Gefuehls-Brei und eine neue Perspektive auf mein Leben
bekomme.
Zusammen mit einer Freundin, die in Townships in Suedafrika
aufgewachsen ist und bis heute nacht so lange es geht mit Lebensmitteln und
Medikamenten im Kofferraum zu allen Familien faehrt, die sie erreichen kann,
haben wir einen Liefer-service ausfindig gemacht, der waehrend des Lockdowns in
den Townships unterwegs sein darf. Unser Ziel ist es, Familien zu erreichen,
die dringend Hilfe benoetigen und ihnen ueber die naechsten Wochen und Monate
auch nach der Ausgangssperre die noetigsten Lebensmittel zu liefern. Meine
Bitte an Euch alle ist uns dabei zu helfen. Fuer ca. 100 Euro kann eine
vierkoepfige Familiezwei Wochen essen.
Wenn wir alle geben, was wir
koennen, werden wir alle haben, was wir brauchen .
Ich wuensche Euch allen liebevolle
Geduld, Momente der Freude und vor Allem Gesundheit.
No comments:
Post a Comment